Die Gesamt-Teuerungsrate ist negativ. Einige Marktbeobachter sprechen bereits vom Schreckgespenst der Deflationsspirale. Doch sind die Aussichten für die nächsten Monate wirklich so schlecht?

von Frank Engels, Gastautor von Euro am Sonntag

Es herrschen Minusgrade in der Eurozone – weniger, was das Wetter angeht, als vielmehr bei der Inflation. Die ist bereits seit geraumer Zeit auf dem Rückzug und hat nun die Nulllinie in den negativen Bereich durchbrochen. Im Dezember 2014 wurde eine jährliche Gesamt-Teuerungsrate von minus 0,2 Prozent gemessen. Zurückzuführen ist der Rückgang in erster Linie auf den Verfall der Energiepreise, die um 6,3 Prozent absackten. Lässt man die besonders schwankungsintensiven Bereiche (Energie, Nahrungsmittel, ­Alkohol und Tabak) außen vor, so ergibt sich zwar eine leichte Zunahme im Jahresvergleich von 0,8 Prozent. Dennoch ist der Befund eindeutig: Die Teuerung ist sehr, sehr niedrig und zunehmend weit entfernt vom ­Inflationsziel der Europäischen Zentralbank (EZB). Und das ist ein Problem.

Vier Gründe für die
geringe Inflation

Diese Erkenntnis ist für viele Verbraucher intuitiv nicht leicht zu verstehen. Wer freut sich nicht über sinkende Preise im Supermarkt, an der Tankstelle oder im Möbelhaus? Volkswirtschaftlich kann sich daraus aber ein GAU entwickeln, wenn aus einer Phase vorüber­gehend niedriger (oder negativer) Inflationsraten eine Deflation wird. Haben sich die Konsumenten nämlich erst einmal auf dauerhaft sinkende Preise eingestellt, halten sie sich mit Einkäufen zurück. Morgen, so das Kalkül, könnte ja alles noch billiger sein.

Dieser Käuferstreik begrenzt die Absatzchancen der Unternehmen. Tatsächlich müssen sie ihre Preise senken, um überhaupt noch Produkte verkaufen zu können – bis irgendwann der Punkt erreicht ist, an dem sich die Produktion nicht mehr lohnt. Am Ende der Entwicklung steht die Stagnation einer Volkswirtschaft. Ökonomen sprechen von einer Deflationsspirale.

Einige Beobachter malen ein solches Schreckgespenst derzeit an die Wand. Angesichts der negativen Dezember-Inflation wird auf das Beispiel Japan verwiesen und auf die Schwierigkeiten, die das asiatische Inselreich bei der Bekämpfung der Deflation hat. Aber droht ein derartiges Szenario auch in der Eurozone? Eher nicht. Zwar ist für die absehbare Zukunft mit sehr niedriger Inflation zu rechnen. Aber eben nicht mit einer Deflation.

Vier wesentliche Gründe sind für die Entwicklung verantwortlich. So ist erstens der Preis für Öl der Sorte Brent, die für Europa wichtigste Rohölsorte, im Jahr 2014 um fast die Hälfte gesunken. Ein stark inflationsdämpfender Effekt auf die europäischen Volkswirtschaften ist die Folge, auch wenn die gleichzeitige Abwertung des Euro – Öl wird in US-Dollar abgerechnet – einen Teil der Rückgänge wieder wettgemacht hat.

Zweitens ist die Konjunktur im Euroraum nach wie vor schwach. Stockt aber die Wirtschaft, sind die Spielräume für Preiserhöhungen begrenzt. Ein dritter Punkt ist die geringe Kreditvergabe der Geschäftsbanken. Wenn sie wenig Darlehen an Unternehmen und Privathaushalte vergeben (wie derzeit), kommt das reichlich vorhandene Zentralbankgeld nicht in der Realwirtschaft an. Dadurch ist der Geldschöpfungsprozess in Teilen der Eurozone quasi zum Erliegen gekommen.

Und viertens haben wir es in einigen Staaten der Währungsunion mit einer bewussten Strategie der internen Abwertung zu tun. Länder wie Spanien, Irland oder Portugal versuchen, durch Reformen, Einsparungen und Lohnzurückhaltungen ihre preisliche Wettbewerbsfähigkeit wiederherzustellen. Dadurch sinkt das Preisniveau in diesen Volkswirtschaften. Mit anderen Worten: Eine zeitlich begrenzte Deflation hilft diesen Ländern, mit ihren vergleichsweise günstigen Produkten im globalen Handel verlorene Markt­anteile zurückzuerobern.

Die gute Nachricht: Bei allen genannten Aspekten gibt es Hinweise darauf, dass sich die Situation in den nächsten zwölf Monaten bessert. Beim Ölpreis beispielsweise sind im ersten Halbjahr 2015 starke Schwankungen weiter wahrscheinlich. In der zweiten Jahreshälfte sollte aber eine Kombination aus Nachfrageanstieg und Angebotsreduzierung für zunehmende Unterstützung der Notierung sorgen. Damit dürfte also auch der inflationshemmende Effekt des Ölpreises zwar über weite Strecken des laufenden Jahres Bestand haben (und die Gesamt-Teuerungsrate deutlich nach unten drücken), perspektivisch aber auslaufen.

Die Konjunktur sollte 2015 zwar schwach bleiben, aber immerhin ist mit einer zunehmenden Dynamik im Euroraum zu rechnen. Bei Union Investment gehen wir von einem Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 1,3 Prozent aus. Auch von dieser Seite sollten die Belastungsfaktoren für die Wirtschaft also abnehmen. Gleiches gilt für die Kreditvergabe, wo das Finanzierungsumfeld der Geschäftsbanken mittlerweile spürbar besser geworden ist. Schließlich dürfte die Euroabwertung der letzten Monate inflationstreibend wirken, da hiervon alle Importpreise befeuert werden.

Engagements in anderen ­Teilen der Welt
Kurzum: Wir gehen von Null-Inflation für das laufende Jahr auf Ebene der Währungsunion aus, wobei regional zwischen Volkswirtschaften mit geringer Teuerung wie etwa Deutschland mit plus 0,3 Prozent und mit rückläufigen Preisen wie Spanien mit minus 0,3 Prozent unterschieden werden muss. Bei der Kern­inflation dürften wir uns mittlerweile der Talsohle deutlich genähert haben.

Was tun? Die wichtigste Konsequenz aus der niedrigen Inflation ist das anhaltende Niedrigzinsumfeld in der Eurozone. So wird die Europäische Zentralbank auf lange Sicht eine sehr lockere Geldpolitikbetreiben, um die Teuerung wieder in Richtung ihres Preisstabilitätsziels von knapp unter zwei Prozent zu beeinflussen. Entsprechend unattraktiv sind Euro-Rentenanlagen in den „sicheren Häfen“ und im kurzen und mittleren Laufzeitenbereich. Und: Auf absehbare Zeit tritt neben die skizzierte Rendite- auch noch eine Währungsschwäche.

Der Gegenwind für den Euro dürfte nämlich zunehmen, auch aufgrund der Zinsdifferenz zu anderen Regionen in der Welt, in der die Marktrenditen und Zentralbankzinsen höher sind. Dies verbessert jedoch die Chancen von Engagements in anderen Teilen der Welt deutlich. Für den Anleger wächst damit die Notwendigkeit zur breiteren regionalen Streuung seiner Investments über die Eurozone hinaus. Internationalisierung wird also zum Gebot der Stunde.

Kurzvita

Frank Engels, Leiter des
Rentenfonds­managements von Union Investment

Der promovierte Volkswirt leitet das 46-köpfige Rententeam der Fondsgesellschaft Union Investment und ist dort für ein Portfoliovolumen von mehr als 75 Milliarden Euro verantwortlich. Zuvor arbeitete Engels unter anderem als Ökonom für den Internationalen Währungsfonds und als Länderexperte für Deutschland, Frankreich, die Niederlande und Griechenland bei der Europäischen Zentralbank.
Union Investment ist die Fondsgesellschaft der Volks- und Raiffeisenbanken mit aktuell mehr als 220 Milliarden Euro verwaltetem Vermögen.

Bildquellen: Union Investment
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